Katalogtext Jens-Martin Neumann – Kunsthistoriker, Kiel
Manche Betrachter mögen sich mit dem Zugang zu den Arbeiten von Iris Resch-Grimm zunächst schwertun: Form und Farbe stammen nicht aus der bekannten Wirklichkeit; es gibt keine Figur und keine Landschaft, keine Erzählung und keine Erklärung, also scheinbar keine Bedeutung – nur leer geräumte Bilder. Die in einer solchen Abstraktion – oder besser: Konkretion – enthaltenen kreativen und assoziativen Möglichkeiten hat der amerikanische Farbfeldmaler Mark Rothko einmal mit den folgenden Worten lokalisiert: „Die Unbestimmtheit der malerischen Struktur löscht das Gedächtnis aus und befreit die Erinnerung“.
So liegt es nahe, die Werke primär aus der immanenten Realität des Bildes, eben aus Material, Textur, Fläche und farbiger Erscheinung, zu begreifen. Iris Resch-Grimm verwendet für ihre Bilder knittriges Seidenpapier, gebleichtes Bienenwachs und gebundene Farbpigmente, zudem Sand, Lack oder Goldpulver, sie arbeitet mit den Fingern, mit Pinsel und Spachtel, groben und feinen Geräten, trägt in mehreren Schichten flüssige Pasten auf, glättet, reibt, trocknet, ritzt und poliert; das Ergebnis: schwellende scheckige Farbteppiche mit krustigen, stellenweise glänzenden, porösen und gerissenen Oberflächen. Ihre Malerei wird durch dieses gestische Moment ebenso gekennzeichnet wie durch den bewussten Verzicht auf eine reflektierte Bildstruktur. Sie schafft in malender Bewegung spontane, verhalten impulsive Bilder von brüchiger Materialpräsenz, die in sichtbar unruhigen Spuren den schwungvollen Malakt bezeugen. Dann füllt sich die gesamte Bildfläche mit einem offenen expansiven Feld aus naturhafter Rohmasse, das sich als weite changierende Farbfläche darstellt. Obgleich ohne intendiertes Kompositionsprinzip und überwiegend ohne die gewohnten Orientierungslinien von Vertikale und Horizont, bleibt doch ein entscheidender Rest der formalen Hierarchie im Bildaufbau bestehen: Das farbige Materialgeschehen intensiviert sich in der Bildmitte, bündelt hier seine Energie und strahlt aus dem Zentrum heraus, während die mit der Hand im Bogen geführten Farbbalken diese Konzentration gleich wieder auf eine körperliche Geste und damit auf das Bildfeld bezieht.
Immer bereit, verschiedenste künstlerische Ausdrucksmittel voller Offenheit und Neugierde, aber ebenso mit großer Ernsthaftigkeit auszuloten, führten ihre Materialexperimente Iris Resch-Grimm von früheren Arbeiten mit selbst geschöpftem organischem Papier und Rostspuren zu den heutigen Wachsbildern. Form, Farbe und Struktur erwachsen dabei stets aus rein künstlerischen Problemen in einem Prozess, in dem sie den Malstoffen folgt und nicht diese der Malerin. Das Bild gehorcht hier nur noch bedingt den Maßgaben seiner Autorin, weitaus stärker den Notwendigkeiten der Werkzeuge und Materialien, genauso den vielfältigen respektierten Zufällen. Iris Resch-Grimm will und muss sich diesem Prozess einordnen. Mithilfe des suggestiven Materialbildes thematisiert sie die gestische Gebärde, denn wichtiger als der Selbstausdruck von Pigmenten, Wachs und Farbe ist der Dialog der Künstlerin mit ihren Mitteln, in dessen Verlauf sie der anfänglich ungeformten Malmaterie zu einer Sprache verhilft, die ihr erst entlockt werden muss. Das Bild wird direkt im Malen gefunden, deshalb überliefert es – als Kronzeuge der körperlichen Motorik – in freier Setzung der Farbform und nervöser Durchschreibung der Bildhaut eingefrorene Momentaufnahmen seiner Entstehung; Malaktion und Bildprozess sind untrennbar miteinander verbunden. Dieser dynamische Ansatz setzt übrigens auch inhaltlichen Deutungen enge Grenzen: Nicht die Psyche dominiert hier, sondern es ist die Hand, die in eine Beziehung zum Aktionsfeld der Bildtafel tritt.
Die Arbeiten Iris Resch-Grimms verzichten auf ein Bildgeschehen und setzen statt dessen auf das Geschehen zwischen Bild und Betrachter. Obwohl sie die Abstraktion nicht verlassen, sind ihnen doch assoziative Elemente eingefügt, die uns weitläufige Fantasieräume eröffnen können: Über den materiellen Befund von gestauchter Paste, aufgeworfenen Graten und gekerbten Rissen oder die weit getriebene Monochromie blautoniger und gelblich grüner Tafeln lassen sich etwa gedanklich ersonnene Analogien zu Einschnitten, Zerklüftungen und Auswaschungen in der Erdoberfläche, zu üppig wuchernder Natur oder zu dräuenden Wolkenformationen ausmachen. Farbscholle, Kolorit und Duktus können somit zu Ausdrucksträgern gedämpfter Emotionen werden.